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Das gleiche Leben. Nur anders. Making-of. Teil 2

Wie bei einem neuen Film, der in die Kinos kommt, gibt es hier eine kleine Reihe mit Häppchen und Schnittchen, mit Gedanken und Anekdoten zur Geschichte hinter der Geschichte. Making-of würde man beim Film sagen. Mein Romandebut steht kurz vor der Veröffentlichung und natürlich wünsche ich mir, wie wahrscheinlich alle Autor.innen, dass möglichst viele Menschen neugierig werden und die Geschichte lesen. Mir macht es Freude, ein Echo zu meinem Schreibprozess, und ihr - wenn ich Glück habe - findet vielleicht Geschmack.


Die Hauptfigur in meinem Roman Das gleiche Leben. Nur anders. heißt Niklas. Niklas Nesper. Obwohl, stimmt nicht ganz: Die meisten nennen ihn Nick. Lässt sich leichter rufen. Wahrscheinlich passt die Kurzform wegen der angloamerikanischen Note auch besser zu ihm. Nick Hornby, Nick Mason, Nick Nolte. Nick Nesper. Geht doch.

Nur seine Mutter, die nennt ihn Nikki. Geht gar nicht. Aber da ist er noch zu jung, um sich zu wehren.

Egal, ob Nick oder Niklas oder Nikki, eigentlich und in Wahrheit hieß mein Protagonist ursprünglich Joseph. Mit altertümlichem ph. So wie Maria und Joseph mit dem Jesuskind! Die waren nämlich auf einer Fotografie abgebildet, die eine Bekannte von ihrer Reise nach Peru mitbrachte. Das Foto zeigt die heilige Familie in einer Art Stroh- oder Basthütte, die auf der Außenseite mit kräftigen südamerikanisch anmutenden Farbornamenten bemalt ist, wie man sie von Ponchos oder mexikanischen Sombreros kennt. Die Hütte selbst ist kaum größer als ein Fingerhut und entsprechend hineingequetscht erscheinen die Figuren. Maria, den Kopf zwischen die schmalen Schultern gezogen und geduckt unter der niederen Balkendecke, hat den Blick fest auf das Kind in der Strohkrippe gerichtet. Mit der einen Hand hält sie ihren himmelblauen Wollumhang vor der Brust und gegen die Kälte verschlossen, die andere streichelt dem Kind zärtlich den Kopf. Etwas abseits von den beiden Joseph. Er wirkt angespannt, auf eine irritierende Art ernst. Zwar ist sein kniender Körper ebenfalls dem Neugeborenen zugewandt, der Blick aber geht nach draußen. Seine Augen scheinen einen fernen Punkt zu fixieren. Vielleicht sieht er eine Gefahr kommen, vielleicht zerrt eine quälende Sehnsucht in seiner Brust. Typ einsamer Held. Lonesome Rider. So etwas in der Art.

Jedenfalls erschien es mir so, als ich im ersten Corona-Jahr an einem Online-Seminar für angehende Autoren teilnahm und die impulsgebende Aufgabe darin bestand, eine x-beliebige Fotografie als Ausgangspunkt für eine kurze Schreibübung, eine kleine Geschichte auszuwählen. Ich sah mich im Zimmer um, mein Blick fiel auf das Buch, das ich gerade las, darin steckte jene Fotografie als Lesezeichen. Kurzentschlossen zog ich sie heraus, legte sie neben mich auf den Tisch und begann zu schreiben. Anschließend trugen die Teilnehmenden ihre Texte vor, und wie das in solchen Kursen ist, erhielt ich im Gegenzug für meine Geschichte einen wilden Strauß von freischwebenden Assoziationen, gutmeinendem Feedback und nützlicher Kritik. Aber in einem Punkt waren sich alle einig: Die Hauptfigur meines Textes konnte auf keinen Fall Joseph heißen. Schon gar nicht mit ph. Eher schon Joe, wegen seiner Vorliebe für amerikanischen Rhythm ´n´ Blues. So wie Big Joe Williams oder Tony Joe White.

Tatsächlich bildete dieses erste Textfragment Wochen später den Kern für meinen Roman. Mir gefiel die Grundidee, von einer Figur zu erzählen, die - wie dieser Joseph auf dem Foto - von einer tiefen Sehnsucht getrieben ist. Nach etwas Anderem, Unbekanntem. Die aber ein Leben führt, aus dem sie nicht einfach rausgehen kann, wie aus einem falschen Film, in den sie versehentlich geraten ist. Weil die Charaktere in einem Film, die Kulissen, die Requisiten, weil die ja immer gleichbleiben. Schließlich gehören sie zu diesem speziellen Film. Die Figur kann nur versuchen, auf ihr Leben eine andere Perspektive zu entwickeln. Das eigene Leben anders zu erzählen.

Joseph kann das nicht, Joseph steckt in seinem Schicksal fest. Also habe ich die Fotografie irgendwann beiseitegelegt und meinem Protagonisten einen neuen Namen gegeben. Und jetzt kann er das. Einen neuen Plot schreiben: Das gleiche Leben, nur eben anders.



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