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Der Schluss bringt eine Geschichte zum Ende

In ihm löst sich alle Spannung auf und alle Fragen sind beantwortet. Irgendwann nach tausenden Worten mündet der letzte Satz in einen langen, zufriedenen Seufzer, die Reise endet und das Buch schließt sich in einer vorsichtigen, sachten Bewegung.

Manchmal bricht das Ende auch völlig unerwartet in eine Geschichte ein, wie ein Blitzschlag, der einen auf freiem Feld überrascht. Dennoch fügen sich Wendungen und Krisen zusammen, das Unvereinbare vereinbart sich und die Geschichte enthüllt ihre innere, universelle Wahrheit.

Gelegentlich wirkt das Ende erzwungen, verfrüht. Man hat das Gefühl, es hätte noch ewig weitergehen können. Oder das Gegenteil tritt ein: Alles ist gesagt, aber die vielen Worte haben ihren guten Schluss verpasst, weiterlesen wird zur Qual. In beiden Fällen bleibt man verstört und ratlos zurück ...


Seit ich mir den Kopf über einen guten Schluss meines eigenen Romans zerbreche, anstatt das vertrauensvoll seiner Geschichte und ihren Worten zu überlassen, lese ich die letzten Sätze anderer Romane mit besonderer Aufmerksamkeit. Der Moment, in dem die Figuren von der Bühne abtreten und der Kreis sich schließt. Wenn ich die letzte Seite umblättere, das Buch schließe und mich von ihm verabschiede.

Mich erinnert dieser besondere Moment an die durchlässige, verschiebbare oder nur eingebildete Trennwand zwischen der Fiktion einer Erzählung und der Realität unserer eigenen Lebensgeschichten. Wie in dem wunderbaren Film von #Alain Resnais „Das Leben ist ein Roman“ mit Vittorio Gassman, Geraldine Chaplin und Pierre Arditi. Das Lesen eines Romans als Experiment einer Wiedergeburt. Wir tauchen in die Identitäten seiner Figuren ein, erleben ihre Krisen und ihre Siege als die unseren, erkennen in ihren Entwicklungen unsere tatsächlichen Lebenskonflikte und unser eigenes Streben nach Liebe, Glück und Zufriedenheit. Trotz aller Besonderheit der jeweiligen Geschichte und auch wenn sie so verschieden, so ganz anders erscheinen als unser Leben, ermöglichen sie doch, unsere eigene Geschichte zu transzendieren. Wir lernen, uns selbst zu verstehen, was wir sind und wie wir sind - in unserer Ganzheit und in unserer Unvollkommenheit, in unserem Tun und Lassen, in unseren Träumen und unseren Albträumen, als Einzelne und in den Beziehungen, die uns mit anderen verbinden, in unserem öffentlichen Erscheinungsbild und den heimlichen Abgründen unseres Bewusstseins.

Mario Vargas Llosa vergleicht einen Roman mit einem „ganz gelebten Leben“. Bis zu seinem guten Schluss.


Foto: Laura Gene Wall


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