Durch Zufall oder doch eben nicht, weil mich eine liebe Kollegin darauf aufmerksam machte, bin ich auf den wunderbaren Text des Hamburger Künstlers Hans-Christian Dany gestoßen. In Lob der Gewohnheiten versucht er, eine tägliche Handlung genau zu beschreiben, und findet in ihrer Wiederholung einen Rhythmus, einen fließenden Zustand, in dem „es sich fast von selbst tut.“ Zum Beispiel das Rauchen.
Ich selbst habe das Rauchen vor vielen Jahren eingestellt, aber jeden Morgen sitze ich in einem bestimmten Sessel, trinke eine Tasse Kaffee und sehe meiner Frau bei ihrer einzigen Zigarette des Tages zu. Diesen Genuss will ich mir nicht nehmen lassen.
Ihre Selbstgedrehte hat die Form einer in die Jahre gekommenen Seerobbe, nicht zu vergleichen mit den ebenmäßig, zwischen Zeige- und Mittelfinger dünn gewalzten Glimmstängeln unserer Freunde.
Auf meine falsche Frage hin, wie sie es schaffe, ihre Selbstgedrehten jeder technischen Fingerfertigkeit zu entziehen, zuckt sie nur beiläufig mit den Schultern. Sie tut es aber offensichtlich mit größtem Vergnügen und mit einer Ziellosigkeit, die ansteckend wirkt. Nicht, dass ich dadurch rückfällig würde. Vielmehr erzeugen die anstrengungslosen Bewegungen ihrer Hände, ihr schwebender Blick, der dem Rauch durch das geöffnete Fenster folgt, einen Aggregatszustand, der meinen Gedanken – noch oszillierend zwischen Nachttraum und Tag – gut tut.
Dieses tägliche Gleichmaß bildet den Auftakt für meinen eigenen Rhythmus. Es ist das Nadelöhr, die beengenden Anforderungen der Sinnproduktion zu umschiffen. Nach einer Weile geht meine Frau aus dem Haus und ich schreibe. Ohne auf die Uhr zu schauen, versuche ich mich treiben zu lassen, zwischen den Tasten und Zeilen, zwischen meinen Zetteln und Notizen, Anfängen oder Fortführungen, versuche, ohne Erwartungen zu bleiben und mich suchend zu beschäftigen. Sandra Freygarten und Mirjam Strunk haben in ihrem schönen Büchlein über Komplementäre künstlerische Strategien Vorgehensweisen beschrieben, die in diesem besonderen Zustand zwischen Wahrnehmen und Handeln hilfreich sind.
Das gelingt freilich nicht immer. Und alle Schreibenden kennen die Störungen des Alltags und die Falle der Produktionserwartung. Die Sorge um die Relevanz des eigenen Tuns. Der Stachel der Bedeutung der eigenen Arbeit und damit der Erwirtschaftung eines selbst gesteckten Mehrwerts.
Wenn ich anfange, so nach vorne zu denken, Ziele, Sorgen, Ängste in die Zukunft projiziere, verliere ich regelmäßig den künstlerischen Zugang zum Schreiben. Dann geht nichts mehr. Wohler fühle ich mich in dem toten Winkel der vorübergehenden Bedeutungslosigkeit und der unbekannten Möglichkeiten. Wenn meine Gedanken schweben wie der morgendliche Rauch der Selbstgedrehten meiner Frau.
Buchinformation:
Dany, Hans-Christian (2017). Lob der Gewohnheiten. In: Pierangelo Maset/Kerstin Hallmann (Eds.), Formate der Kunstvermittlung (179-186). Bielefeld: transcript Verlag. 2017
Freygarten, S./Strunk, M.: Komplementäre künstlerische Strategien. Hamburg, Potsdam, Berlin: HPB University Press, 2017
Foto: Laura Gene Wall
Comments