(Eine Kurzgeschichte)
Einfach mal den Stecker ziehen, hatte Berghauser gesagt. Abschalten. Alles hinter sich lassen und ein paar Wochen Urlaub nehmen. Sonnenuntergänge am Meer, gutes Essen und starke Drinks. Warum nicht gemeinsam wegfahren? Und so war ihr Plan geboren, letzten Herbst, als sie sich gemeinsam durch die alljährliche Betriebsfeier soffen.
Beide arbeiteten sie in der gleichen Firma, Berghauser ein Stockwerk unter ihm in der Abteilung für Schadensfälle, beide quälten sie sich durch die Woche in Büros, die nach chemischen Reinigungsmitteln und altem Schweiß rochen und beide waren sie seit Jahren geschieden. Berghauser schlug Ibiza vor, ihm war es recht und in den folgenden Wochen waren sie so etwas wie Freunde geworden. Stille Freunde. Denn mit Berghauser musste man nicht viele Worte machen. Anders als mit seiner Ex, die ständig irgendetwas mit ihm besprechen wollte und ihm seine einsilbigen Antworten vorhielt.
Müde lässt er seine Augenlider sinken und rutscht etwas tiefer in das heiße, sich rot färbende Wasser. So, mit halb geschlossenen Augen verschwimmt alles um ihn herum. Konturen lösen sich auf, Farben gehen fließend ineinander über und wenn er noch ein paar Minuten durchhält, verwandelt sich das Badezimmer in eine undefinierbare Einheitssoße. Genau wie sein Leben. Genau wie jeder Tag seines verdammten Lebens.
Auch gestern hatte alles wie immer begonnen. Nach einer unruhigen Nacht war er mit bleiernen Beinen aus dem Bett gestiegen, hatte geduscht, den letzten Rest Kaffee vom Wochenende in der Mikrowelle erhitzt, missmutig den beeindruckenden Stapel leerer Pizzakartons registriert und Punkt acht Uhr sprang der Motor an. Auf der Brücke über den Fluss reihten sich die immer gleichen Pendler in den immer gleichen Stau ein, wie jeden Tag kam es ihm vor als würde er jeden einzelnen Wassertropfen der grauen Kloake unter der Brücke wiedererkennen und als es endlich weiterging, war die Hitze schon so stark, dass er die Fenster hochkurbelte und die Klimaanlage einschaltete.
In der Firma schlich er an den halb offenen Bürotüren vorbei, wie immer in der Hoffnung, dass ihn niemand ansprach, am Ende des Flurs ließ einen Becher Kaffee aus dem Automaten, verbrannte sich auch dieses Mal die Finger, stieß leise fluchend die Tür zu seinem Büro auf und kickte sie mit dem Absatz wieder ins Schloss. Augenblicklich spürte er die unerträgliche, muffige Hitze, die ihn umfängt. Als er den Kaffee auf dem Schreibtisch abstellte, schwappte ein wenig über, ihm war es egal, das Jackett warf er achtlos über den Haken und ließ sich seufzend in den Stuhl fallen.
Hier, hinter seinem Schreibtisch, würde er die nächsten acht Stunden sitzen, die Uhr an der Wand anstarrend, bis sie ihm erlaubte, diesen sinnlosen Film rückwärts abzuspulen: wortlos durch den Flur hinaus in die gleißende Sommerhitze, der Abendverkehr, der Stau, dann endlich das kalte Bier aus dem Kühlschrank, vielleicht ein zweites vor dem Fernseher, bevor er todmüde ins Bett fallen würde.
Doch es kam anders. Das Martinshorn und blaue Lichtreflexe, die durch das Fenster zuckten und sich an der Decke brachen, rissen ihn aus seinen Gedanken.Unten auf der Straße hielt offenbar ein Krankenwagen und gerade als er neugierig den Kopf aus dem Fenster streckte, trugen sie Berghauser heraus. Mit weit geöffnetem Hemd, sodass sein mächtiger, weißer Bauch entblößt zum Himmel schrie, lag er da auf dem Rücken wie ein gestrandeter Wal - nur dass man einem Wal keine Elektroden auf die Brust setzt.
Von den Zehen her kriecht ein Kribbeln hoch, das sich über seinen ganzen Körper ausbreitet. Er versucht seine Augen wieder zu öffnen, halb nur, gleichzeitig befindet sich der Rest seines Körpers in einer Art Schwebezustand. Als würde ihn das Wasser tragen. Meer, Sonnenuntergang, denkt er, gutes Essen und starke Drinks. Sanft rutscht ihm die Klinge aus der Hand. Einfach den Stecker ziehen.
Foto: Laura Gene Wall
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