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Denkzeugs

Während die meisten meiner Blog-Beiträge, wenn auch in der ersten Person erzählte, fiktive Kurzgeschichten sind, beziehen sich die folgenden Zeilen auf aktuelles Denkzeugs.

 

Adam Schoboczynski schreibt in seiner Rezension über den neuen Roman von Timon Karl Kaleyta „Heilung“: „... unsere hypersensible Epoche, in der Achtsamkeit, Gesundheit, Abstinenz und Reinheit zum Ideal erklärt werden und Identitäten poliert werden, bis sie ein bisschen glänzen, während nur ein paar Kilometer weiter im Osten ein Krieg mit unklaren Eskalationspotential tobt. Das Feintuning des fragilen Ichs, penible Selbsterkundung, Identitäts- und Glückssuche stehen jedenfalls in merkwürdigem Kontrast zur drohenden Auflösung gesellschaftlicher und politischer Ordnung ...“ (DIE ZEIT, Nr.10, vom 29.02.2024).

Nun kann man den eindrucksvollen Roman von Timon Karl Kaleyta sicherlich sehr unterschiedlich lesen: als spannende, etwas unheimliche Action-Story, als humorvoll erzählte Männer-Heldenreise oder als groteske Mischung aus Gruselkrimi und postmodernem Gesellschaftsroman.


Mir ist dieser Roman in die Hände gefallen, vier Wochen nachdem ich im Januar den Zwischenspiel-Text über mein eigenes Unbehagen an aktuellen gesellschaftlichen Auflösungserscheinungen geschrieben hatte. Auch ich wollte mit dem Lesen nicht mehr aufhören, bremste deswegen mein Lesetempo herunter, um ja keine Zeile, keine Formulierung zu verpassen, in der ich Erfahrungen und Empfindungen wiedererkannte, wie ich sie in Zwischenspiel zu beschreiben versucht hatte.


Zugegeben: Man sucht dort, wo man etwas sieht. Also musste mir erst der Roman, dann ebenso die Rezension von Adam Soboczynski ins Auge stechen. Selektive Wahrnehmung.

Und gleichzeitig: Ist nicht die Koinzidenz solchen Denkzeugs, also das zeitliche und räumliche Zusammenfallen ähnlicher Gedanken und Texte, ist nicht dieses gehäufte Zusammentreffen ein Spiegel unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Orientierungslosigkeit? Eine um sich greifende Beklommenheit, ein Signal?

Wäre es nur nicht so!


Foto: Laura Gene Wall, 2024

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